„Es ist längst bekannt, dass das CABARET CHEZ NOUS in Berlin Weltgeltung besitzt und dass der Besuch unserer Show praktisch zum ‚Pflichtpensum‘ eines jeden Berlin Besuchs zählt. Allerdings, es ist eine angenehme Pflicht, denn das CHEZ NOUS bietet seinen Gästen in seinem Stammhaus in der Marburger Strasse allabendlich eine glitzernde, mitreissende Revue mit Travestie-Stars aus aller Welt. Über die Grenzen Berlins ist das CHEZ NOUS auch bekannt geworden durch seine seit Jahren stattfindenden Deutschland-, Österreich-, Holland und Schweiz-Tourneen.
Das CABARET CHEZ NOUS will nicht den Anspruch erheben, ‚Grosses Theater‘ à la Shakespeare oder Goethe zu spielen, dies sollen die staatlich subventionierten Bühnen zeigen. Die Show setzt in erster Linie auf den Geschmack des Publikums und bietet, was auf öffentlichen Bühnen leider allzu selten geworden ist: pures Entertainment. Die Künstler stellen ihr Können als Komiker, Sänger, Tänzer, Imitatoren, Parodisten und Verwandlungskünstler unter Beweis. Die künstlerische Qualität und ihr gleichwertiges Können ist den Künstlern unbestritten, wie auch die einstimmige positive Resonanz von Publikum und Kritikern bestätigt.
Das CABARET CHEZ NOUS will seine Gäste entführen, in die Welt der Illusion der Travestie und der Spekulation, wo die Normalität ad absurdum geführt wird. Wie heisst es doch so schön in einem Refrain aus dem berühmten Bühnenstück La Cage aux folles: ‚Wir sind, was wir sind, und was wir sind, ist eine Illusion.‘ Die CHEZ NOUS-Besucher sollen für die Dauer der Show alle eindeutigen Aussagen über Definition der Geschlechter vergessen und sich, auf charmante Weise, an der Nase herumführen lassen.“
http://cabaret-chez-nous.de vom 18.11.2007, abgerufen im Internet Archiv
Das von 1958 bis 2008 geöffnete Cabaret Chez Nous zählt zu den wichtigsten Orten der Travestiegeschichte in Berlin-Charlottenburg und durch die umfangreichen Touren auch weit darüber hinaus. Wie lässt sich dieser Ort erinnern, der mit Illusion und Parodie der harschen gesellschaftlichen Gegenwart trotzt, in der sich Schwule und Transpersonen wiederfinden? Welche Form kann ein Erinnern nehmen, das nicht versucht mit akribischem Blick das Echte ins Licht zu zerren und stattdessen das glamouröse ‚als-ob‘ der Travestie bestehen lässt? Wie lässt sich aus heutiger Sicht zurückschauen, wenn die Vergangenheit weniger großzügig ist als die Gegenwart?
We’re in this together setzt dabei auf zwei Strategien. Der visuellen Opulenz der Fotografien wird mit einer Überarbeitung aus Zuckerperlen, Honig, Fruchtsaucen, Champagner und Schokolade die Nostalgie abgegriffener, verblasster und schlecht gescannter Fotografien genommen. Es sind Materialien der Zierde, des zärtlichen Hinzufügens, aber auch eine Haptik der Illusion: denn Archivmaterialien und Fotoalben würden verkleben, ließen sich nicht mehr retten. Sprühschokolade wird zu Nebel, Flüssigkeiten brechen die Pixel. Der Bildebene gegenüber stehen ausführliche Audiointerviews, die das Chez Nous und die Lebenswelten der Künstler*innen beschreiben. Statt einen Abend im Chez Nous zu rekonstruieren, versuchen die Interviews sowohl mit Zeitzeug*innen als auch mit einer jüngeren Generation von Aktivist*innen zugewandt zurückzuschauen. Dabei wird die Travestie weniger als eine eigene Identität als ein Arbeitsverhältnis und ein Möglichkeitsraum verstanden.
„Ich kam ja aus diesem verrückten Laden, Black Market, mit feuerroten Haaren und ganz wild geschminkt und so. Und das Chez Nous war natürlich sehr elegant gewesen, da musste man eine ganz andere Art an den Tag legen. Ich habe immer gesagt ‚Ich war ein ungeschliffener Diamant und im Chez Nous habe ich die Brillanz bekommen und die Eleganz, die man in diesem Job auch braucht.‘“
Jennifer Berlin arbeitete ab den 1980er Jahren bis 2003 im Chez Nous als Schönheitstänzerin.
Das Gespräch dauert 2:05:20 und wurde im Winter 2020/21 geführt.
“I’m never going to put the burden of representation on drag queens. If a drag queen says ‚Hahaha, trans*woman is also just a costume, and they are no women at all blablabla’ then I go ‘That was kind of a fucked up thing to say’. But a drag queen who just wants to present the way that she wants to and wants to live the life that she wants to and wants to live as a man in everyday life and perform as a woman on stage – there is nothing wrong with that. And I think it’s great. I think there needs to be several different ways of expressing gender nonconformity. If everyone who is on the feminin spectrum of gender non conformity is told ‘Oh you need to become a trans women’ that is extremely fucked up. So all of these things should be allowed and should be celebrated, but I think there also needs to be an awareness of the differences. And I still think we’re not there yet.”
Alvina Chamberland is a writer of fiction and an activist based in Berlin. Her next novel “Love the World or Get Killed Trying” will be published by Noemi Press in Spring 2024.
The interview is 1:44:40 long and was conducted in winter 2020/21.
„Ich komme in Köln an, gehe zum Theater, Aufsteller draußen: ‚Cabaret Chez Nous – Die Herren Damen lassen bitten.‘ Jetzt muss man bedenken, das war Ende der 70er. Da hat man sich noch ein bisschen anders verhalten als heute. Ich bin an diesem Theater vorbei, habe das gesehen, bin nochmal an dem Theater vorbeigegangen. Und ich denke: ‚Meine Güte, was machst du denn jetzt? Du wolltest doch eigentlich ins Theater gehen. Was, wenn dich jemand sieht, wenn du hier reingehst – zu den Transvestiten?‘ Ich bin bestimmt fünf- oder sechsmal an dem Theater vorbeigelaufen. Dann kam da unten an der Ampel Angie Stardust. Und ich dachte: ‚Die wird ja wohl dazugehören – weiße Pelzjacke an, schwarze Satinhose, kniehohe Stiefel... Und jetzt nimmst du all deinen Mut zusammen und stiefelst da auch rein.‘“
Dieter lernte das Chez Nous auf einer Tournee in Köln kennen. Gemeinsam mit Frank archiviert er auf einer liebevollen Erinnerungsseite auf Facebook die Geschichte des Cabarets.
Das Gespräch dauert 0:59:19 und wurde im Winter 2020/21 aufgenommen.
„Travestie ist ein Eintauchen in eine Scheinwelt. Sie ist etwas Illusionäres, was ich dann auch als schön empfinde. Sie hat Glanz, sie hat Ausstrahlung und ist außergewöhnlich. Sie hat nichts mit dem Alltag zu tun, der nicht so glitzerig, bunt, mondän und nicht voll von diesen großen Gefühlen ist. […] Es ist ja nicht nur das Äußerliche, das Kostüm und das schöne Gesicht. Sondern es ist auch das Spiel mit den Emotionen, wenn sie mit extra viel Herz auf die Bühne gehen oder mit einer gewissen Arroganz die Divas und die Unnahbaren spielen. Alles das was emotional darstellbar ist, geht auch mit auf die Bühne. Im Alltag würde das wie deplatziertes Pathos wirken, weil man so gar nicht miteinander umgeht und sich so begegnet. Das ist wieder dieses Herausgehobene, das auf die Bühne gesetzt wird. Da kann ich etwas sein, was ich im Alltag nicht bin. Und ich kann das in dem Moment hundertprozentig sein, mit Identifikation und Herzblut und eben auch mit dem Gefühl. Wahrscheinlich aber auch in dem Wissen, dass in dem Moment wo der Vorhang zugeht und ich mich umdrehe alles wieder vorbei ist. […] Aber man kommt der Welt ja nicht abhanden, im Gegenteil. Die Welt sitzt ja dann im Publikum und guckt einem zu. Denn nirgendwo ist man der Welt näher als in den Momenten in denen man sich ihr zeigt und sich ihr präsentiert.“
Nora Eckert ist Autorin und engagiert sich im Vorstand des Trans Inter Queer e.V.. Sie lebt seit 1976 als Transfrau in Berlin.
Das Gespräch dauert 2:06:40 und wurde im Winter 2020/21 aufgenommen.
“Chez Nous was not provoking too much. Always classy. You know where your borders are, you have to always be reminded of it. But one can go over the borders and still have a lot of class! And what you do is comedy, a little bit of erotic comedy—which is what I used the most—or little nuances of that. You’re provoking a little bit, you’re dropping little things to think about. Maybe they didn’t think about it while they were in the show, but they go home and think about it. I don’t care if after that you look at my face, but I see that you’re interested in me... Oops! Things like that. It helps to move forward. I don’t want life just to be good for me, I want it to be good for many, as many others. None of us as individuals—no matter what country you are from, what language, what culture—you are not a representation of your whole culture. But you are all the variations of the many that there are.”
Joaquín La Habana is a performer who worked in the Chez Nous in 1982.
The interview is 2:49:59 long and was conducted in Winter 2020/21.
„Irgendwann gab es das Angebot eines Schauspielkurses damals im SchwuZ. Da war eine Schauspiellehrerin, die sich in queere Performer_innen, an Drag Queens und Kings gewendet hat. Da haben wir zu sechst einen Kurs gemacht und dieser Schauspielkurs war damals für mich so eine Erleuchtung und hat mein trans Coming Out angestoßen. Es ging darum, dass wir so viel auf der Bühne mit Präsenz gearbeitet haben und ich immer das Gefühl hatte, mich auf der Bühne am wohlsten zu fühlen. Und meine Schauspiellehrerin sagte halt auch immer so ‚Man merkt, dich hält irgendwas zurück. Du kannst dich noch nicht so richtig öffnen, dass du so strahlen kannst, wie es eigentlich in dir ist.‘ Ich hab dann lange überlegt woran das so liegen kann. Und dann gab es dann so eine Kombination aus beidem, dass ich irgendwann gemerkt habe ‚Moment mal, diese Frau, die du auf der Bühne bist, das bist ja du! Ist ja klar, dass du dich da am wohlsten mit dir fühlst, weil das genau das ist, was du bist.‘ Und das war dann der Knackpunkt für mich um zu merken ‚Mein Gott ich bin ja trans!‘ Ich kannte so viele Transleute schon vorher und hatte auch nie ein Problem damit mit dem Gedanken, dass es vielleicht irgendwann mal kommt. Aber das war tatsächlich so der Knackpunkt wo ich gemerkt habe ‚Stimmt, du warst ja nie wirklich nur ne Tunte oder nur ne Drag Queen sondern du bist immer schon die Frau gewesen, die du auf der Bühne verkörpert hast.‘ Das war für mich ein persönlicher und auch künstlerischer Schritt nach vorne.“
Kaey ist Sängerin, Trans Drag Queen und Redakteurin für das Magazin Siegessäule. Sie lebt in Berlin.
Das Gespräch dauert 1:05:08 und wurde im Winter 2020/21 aufgenommen.
„Wenn du in einem Kabarett arbeitest, musst du es als eine Marke verstehen. Du kaufst eine Louis Vuitton weil es eine Louis Vuitton ist – du weißt was du kaufst. Das habe ich ganz klar gesehen: wenn ich das Chez Nous nicht gehabt hätte, hätte ich mit meinen Füßen nie auf so einer großen Bühne gestanden. Dafür bin ich sehr dankbar und ich fühle mich in diesem Sinne als Künstler privilegiert. [...] Wenn die Leute zu mir gekommen sind mit dem Programmheft, damit ich es unterschreibe, habe ich mich gefühlt wie Beyoncé.“
Manel Dalgó arbeitete seit 1991 zunächst als Teil des Trio Opale als Travestiekünstler im Chez Nous. Ab Mitte der 1990er Jahre assistierte er dem künstlerischen Leiter, Le Boy. Nach dessen Tod im Jahr 2001 übernahm er diese Aufgabe bis zur Schließung des Kabaretts im Jahr 2008. Nach fast dreißig Jahren Beziehung, heirate er im Jahr 2019 Thomas Schmieder, den ehemaligen Inhaber des Chez Nous.
Das Gespräch dauert 1:56:19 und wurde im Winter 2020/21 geführt.
“I just left the station Zoo and came to the Chez Nous right on Marburgerstraße 14. And there I met Ramonita Vargas and she told Michel ‘Holy shit, she just looks like Josephine Baker.’ and then the owner was so exited so I was working on the second night.”
Marlow la Fantastique is a performer who worked at the Cabaret Chez Nous for the first time in 1968. Today she resides with her husband Curly (whom she met at work) in Chicago.
The interview is 0:39:03 long and was conducted in winter 2021/22.
„Mir hat es sehr gut gefallen im Chez Nous, weil es war eine tolle Atmosphäre. Man hat das Gefühl gehabt, man ist künstlerisch mehr anerkannt, als wenn man jetzt als Striptease-Frau unterwegs war. Das war schon ein schönes Gefühl. Darum habe ich da auch ganz gerne gearbeitet und das hat mir dann auch nichts ausgemacht. Das war eben künstlerisch irgendwie.“
Angela Parker arbeitete als Tänzerin in den 1980er Jahren im Chez Nous.
Das Gespräch dauert 1:34:05 und wurde im Winter 2020/21 geführt.
„In einer großen Revue-Nummer wie ‚Champagne‘ bin ich überladen mit Federn – von oben, mehrere Boas, bis unten – und einem riesen Champagnerglas in der Hand. Es wird auf einmal ganz schön in französischer Musik gesungen ‚ce soir, aujourd’hui, la révue... Champagne, wir stoßen an auf einen schönen Abend...‘ oder ‚Oui, c’est ça, la révue‘ ein begnadeter Titel zu singen ‚Ja, das ist die Revue.‘ Ja, das war meine Sache. Und dann schön schreiten, wie im Lido oder Moulin Rouge, schön vornehm, schön zu gleiten in dieser wunderbaren Musik. Das ist genau das was ich wollte und das ist auch genau das, was ich gemacht habe.“
Patachou arbeitete von 1988 zunächst als Teil des Duos Pat & Patachou im Chez Nous. Sein Bühnenabschied war 1996.
Das Gespräch dauert 1:56:44 und wurde im Winter 2020/21 geführt.
„Ich habe mich immer als einer von den Schwulen gesehen, auch wenn ich keiner bin. Und weil ich das wahrscheinlich so authentisch rübergebracht habe, haben die Leute mir das einfach abgekauft. Also niemand hat das jemals in Frage gestellt. Deswegen war ich auch immer eine der ersten oder einzigen Frauen* in vielen schwulen Spaces. [...] Für mich waren Drag Kings schon so ein höheres Level, so ein Male-Illusion-Level, aber ich habe mich als schäbig-schangelige Tunte gesehen. Ich würde nie jemanden davon überzeugen, dass ich in irgendeiner Hinsicht ein Mann wäre. Und die anderen um mich herum waren auch Tunten und keine Drag Queens. [...] Ich wollte auch dazugehören und dann habe ich mich Boytunte genannt.“
Ryan Stecken ist Drag Quing, aber im Herzen eine Tunte geblieben. Im Interview berichtet Ryan von den Erfahrungen als Frau* in schwul geprägten Räumen anzukommen und über den eigenen Blick auf die Welt der Travestie.
Das Interview dauert 0:44:15 und wurde im Winter 2020/21 geführt.
„Ich habe immer ein bisschen zwiespältig auf die Travestie-Szene geschaut. In den 70er Jahren waren die ja sehr hochgekommen; überall gingen die Bürger, die Heteropaare in die Travestie-Shows, klatschten sich auf die Schenkel und haben aber dann mit dieser Doppelmoral gelebt. Sie wollten mit diesen Leuten auf der Straße oder im Leben nichts zu tun haben, aber sie auf der Bühne beklatschen, bewundern, dort lachen und sich amüsieren. Mein erster Eindruck von der Travestie-Szene war ‚Toll, sie kommen raus, sie zeigen sich, sie machen tolle Performances‘, Und ich liebte natürlich das Spiel mit den Geschlechterrollen, weil das auch mein Thema war. Und auf der anderen Seite fand ich es schade, dass die nicht Teil der allgemeinen Emanzipationsbewegung waren, zu der ich mich zugehörig fühlte.“
Dieter-Rita Scholl lebt in Berlin.
Das Gespräch dauert 1:19:22 und wurde im Winter 2020/21 aufgenommen.
„Die Travestie ermöglicht eine Welt. Und ich glaube, dass die Travestie – so wie ich die Programme kenne – sagt ‚Wir versprechen was, aber wir versprechen das auf Zeit.‘ Das heißt, wenn man sich rein begibt, kommt man automatisch auch wieder raus. Es ist für mich was ganz Positives, dass die die Leute an die Hand genommen haben in eine andere Welt und die teilweise sogar wieder aus dieser Welt wieder hinaus geführt haben. Aber was dazwischen geschieht bleibt ja auch jede_r einzelnen überlassen und was die daraus machen auch. Ein Teil des Programmes ist immer auch ‚Ihr könnt noch mehr, wenn ihr wollt, aber ihr müsst nicht. Raus kommt ihr aber wieder.‘ Es ist relativ angenehm da einzusteigen und wieder mit rauszukommen. Ich würde das als tollen Möglichkeitsraum sehen, den die eröffnen.“
Karl-Heinz Steinle ist Historiker und lebt in Berlin. Er arbeitet zur schwuler und queerer Sozialgeschichte mit einem besonderen Fokus auf Örtlichkeiten.
Das Gespräch wurde im Juli 2021 geführt und dauert 2:00:36.
„Die Leute haben nur gewusst, dass ich ein Mann bin, als ich die Perücke abnahm. Das war eine richtige Transformation. Travestie – Transformation, das ist ein Unterschied. Ich bin immer als Mann gewesen am Tag und als Frau am Abend für meinen Beruf. Ich fühle mich besser als Mann als als Frau, freier. Ich habe nichts dagegen, aber ein Mann hat mehr Freiheiten als eine Frau, zu kompliziert. Eine Tunte bin ich sowieso.“
Ramonita Vargas arbeitete in den 1960er Jahren im Chez Nous. Ihr letzter Bühnenauftritt war im Jahr 1978.
Das Gespräch dauert 0:55:57 und wurde im Frühjahr 2021 geführt.